Schreiben ist wohl eines der wenigen Hobbies, bei denen es legitim ist, kriminelles Gedankengut zu veröffentlichen und zumindest in seiner Fantasie indirekt zum Mörder zu werden. Ein Freund erzählte mir neulich, dass es wohl in Amerika eine Art Convention für Schriftsteller geben muss, bei der diskutiert wird, wie wohl der perfekte Mord aussehen muss. Kein Witz, trau ich denen auch zweifelsfrei zu, aber skurril ist der Gedanke doch trotzdem, oder? Wenn man Steckbriefe oder Infos über andere Autoren und deren etwaige Tabus liest, stolpert man kaum, wenn überhaupt, über den Tabupunkt: Mord oder Charakter-Tod. Dafür tun sich die meisten schwer damit, Gewalt oder sexuelle Tabuthemen wie Vergewaltigung oder Kindesmissbrauch anzusprechen, wobei ich mich wiederum frage, ob Mord oder Charakter-Tod nicht auch ein Teil von Gewalt ist?! Warum ist es für viele einfacher, einen Charakter wegzurationalisieren, anstatt ihm auf andere Art und Weise Leid zuzufügen? Macht es mehr Mühe, ihm ein schweres Schicksal anzudichten, anstatt ihn nach, sagen wir, 15 Kapitel den Garaus zu machen?
Sadismus scheint auch unter FF-Autoren weit verbreitet zu sein, wer sagt nicht selbst von sich, dass er gern seine Charaktere quält, sei es auf psychologischer oder körperlicher Ebene? Macht das eine Story interessanter? Ja, aber nur, wenn das Leid nicht inflationär gebraucht wird und man sich langweilt, wenn dem Protagonisten schon wieder ein Finger abgehackt wird (rein hypothetisch), wenn die Charaktere nicht fallen wie die Fliegen (ich erinnere nur an J.K. Rowlings zweiseitigen Massenmord an den beliebtesten Nebencharakteren im 7ten Band von Harry Potter - was fand ich das doof!) und kaum Erwähnung dabei finden. Versteht mich nicht falsch, ein guter "Film- oder Storytod" braucht nicht immer überschäumende Theatralik, um überzeugend zu wirken, meistens sind es die leisen, unterschwelligen Tode, die den Leser berühren. Und das ist doch Sinn und Zweck der Sache, oder? Einen Charakter nicht einfach zu entsorgen, weil einem nichts mehr mit ihm einfällt, sondern ihm dem Leserkreis erst vertraut zu machen und ihn - wenn nötig - ausgiebig zu verabschieden. Ich erinnere nur an den finalen Band der "Der dunkle Turm" Saga von Stephen King. Der Mann versteht es, seine Helden abzumurksen wie kein zweiter. Und ehrlich - ich hab an mindestens 4 Stellen in diesem Buch geheult wie ein Schlosshund, ganz einfach, weil er es versteht, Charaktere lebendig zu gestalten und einem so nahe zu bringen, dass man fast meint, diesen Helden persönlich zu kennen. Das ist eine unglaubliche Leistung und jeder, der mich ein bisschen besser kennt, weiß, dass ich nicht bei jeder Gelegenheit losheule oder Pipi in den Augen hab.
Ich möchte hier dennoch nicht sagen, dass Charaktertode sein müssen. Eher im Gegenteil. Ich bin zwar kein "and they lived happily ever after" Fan, aber ich lese trotzdem auch sehr gern Geschichten, indem kein Charakter geopfert werden muss, ganz einfach, weils nicht jeder Plot hergibt. Tode müssen einen Sinn in einer Story haben, selbst wenn der Sinn nur darin besteht, zu demonstrieren, wie bedeutungslos ein (in seinen Augen langweiliges) Menschenleben für den Joker ist. Sie sollten in einem Plot schon effektiv und sinnvoll eingesetzt werden und nicht nur offenkundig darlegen, mit welchem Charakter der Autor am wenigsten anzufangen wusste.
Ich habe selbst schon einige Charaktere getötet, aber es ist bei weitem kein Muss für jede Fanfiction. Es muss zum Genre, zur Story und allem voran zur Handlung passen. Außerdem sollte man bedenken, dass man sich mit einem Charakter-Tod nicht immer Freunde macht. Ich erinnere mich nur selbst zu gut daran, wie einige Leser auf die Barrikaden gegangen sind, weil ich einen wichtigen Nebenchara getötet habe. Aber auch hier gilt wieder - man schreibt in erster Linie für sich und nicht nach den Wünschen der Leser. Die können gut selbst zu Papier und Stift greifen und ihrer Fantasie freien Lauf lassen.
Ein fiktionales Leben zu nehmen ist immer leicht. Einen Charakter glaubwürdig am Leben und psychisch leiden zu lassen, sodass es einen Sinn im Plot ergibt und nicht nur darauf abzielt, einem krankhaften Voyeurismus zu frönen, ist hingegen schwierig und jeder, der sich an etwas härteren Tobak gewagt hat, weiß, was ich damit meine.
In diesem Sinne, kommt gut durch den Donnerstag!
erst mal geschlossen
vor 12 Jahren
4 Kommentare:
Hi Stoffi,
wie recht ich dir da gebe. In den meisten Fanfiction, die ich gelesen habe ist irgendein Charakter gestorben einfach weil der Autor "es tun konnte". Dabei hat es gar nicht wirklich in den Plot gepasst. Ich gebe zu, ich habe meistens in meinen Storys auch mind. einen Charaktertod, gerade in meinem Fantasy-Roman "Seraphin" gab es einige Tode, aber das hat von Anfang dazugehört und sollte nicht einfach passieren.Ich habe beim Schreiben geheult als ich meinen Lieblingscharakter "töten" musste.
Harry Potter 7...dazu sage ich besser nichts, ich habe mich fürchterlich aufgeregt.
Ich denke, dass es vielen Autoren leichter fällt einen Charakter sterben zu lassen als ihn Sachen wie Vergewaltigung oder dergleiche durchleben zulassen, da sich die wenigstens mit der Psyche des Charakters auseinander setzten. Ich denke, darum hast du auch so einen Erfolg mit Scar Tissue, weil du nicht einfach mordest sondern mit der Psyche spielst.Das bekommen nur die wenigsten hin.
Wünsch dir noch einen schönen Tag,snoopy
Hallo Stoffi!
Der Tod eines Charakters in einer Story ist wahrlich ein heikles Thema. Ich selbst habe selbst erstmals die Hand ein einen Papierhelden legen müssen - und glaub mir, es fiel mir nicht leicht. Aber es gehörte zur Handlung dazu, bildet sogar einen Bezug zum Ausgangspunkt der Geschichte, wenngleich ich nicht damit rechne, dass die Vielzahl der Leser das aus einem einzigen Wort herauslesen wird. *seufz*
Andere Arten von Gewalt? Mit denen mag ich mich nicht so recht anfreunden. Vergewaltigungen oder ähnliches haben es schwer, in meiner Fantasie Fuß zu fassen. Es gibt aber auch Storys, in denen gerade diese Ereignisse mit sehr viel Fingerspitzengefühl vorkommen - nicht reißerisch und brutal bis ins Detail beschrieben, sondern mit großem Augenmerk auf die Folgewirkungen für die betreffenden Personen. Davor habe ich großen Respekt und wünsche mir manchmal, ich könnte das auch so genial in Worte fassen. Das dürfte dann die von dir angesprochene "Tiefenwirkung" sein; eben nicht das simple Niedermetzeln sondern die Einbindung in eine anspruchsvolle Handlung oder nachvollziehbare Chara-Entwicklung.
Liebe Grüße,
Jathy
Leider sehen viele Autoren Tode als n seichten Schockeffekt, ja fast schon Leserfang... Kann ich nix damit anfangen. Ich töt nur wenn's unbedingt sein muss, wenn's zur tieferen Charakterisierung des Mörders dient oder wenn's der Plot einfach net anders hergibt... Generell wird's bei mir eher weniger als mehr Tode geben, weil ich mich auch net leichtfertig von Charakteren trennen kann, die scheiden, wenn sie weg müssen, dann auf weniger spektakulaere Weise aus. Von meinem grossen X-Men-Psychopathen hab ich mich ueber sage und schreibe 14 Storys hinweg net trennen koennen, obwohl der wirklich schon lang ueberfaellig gewesen waere... Hingegen hat Teil 12 meiner LOTR-Serie einige grosse Proteste ausgeloest, weil der Tod voellig unerwartet kam und der Charakter sich sehr in die Herzen geschlichen hatte... Aber das is eben, wie hier schon erwaehnt wurde, die Sache vom Autor. Hat auch n bissl was mit Realismus zu tun, wann wer stirbt und wann net. Genauso braucht eben net jeder Tod n Drama-Effekt, andere wieder erfordern es, und es kommt ganz auf das Gefühl des Autors an, wie er es hinbiegt, dass der Leser am Ende heult... Es können auch die ganz leisen, schnellen Töne sein, die unter die Haut gehen, an anderen Stellen passt das gar nicht. Während ich bei Sarumans Filmtod immer noch auf die Pointe warte, hat mich selten eine Szene so mitgenommen wie Kates Tod in NCIS oder Wash in Serenity. Wie gesagt... Es kommt immer auf die Situation und die Darstellung an. Und das haben leider nur die wirklich Geuebten drauf...
@snoopy Charaker-Tode sind völlig legitim, solange sie stimmig in den Verlauf einer Geschichte eingearbeitet sind, ich hab nichts gegen Chara-Tode, solange sie mit dem nötigen Taktgefühl eingesetzt werden. Ha, schön, noch eine, die HP7 nicht so dolle fand! Hatte das Gefühl, sie wollte es nur schnell zu einem Ende bringen. Oh, aber snoopy *flüster* den ein oder anderen Mord wirds aber auch in Scar Tissue geben ;)
@Jathy Ja, ich hab auch einige Tabus, an die ich nicht herankomme, auch wenn ich mich mit Scar Tissue da schon sehr im Grenzgebiet bewege. Es ist anspruchsvoll und schwierig, psychische Grausamkeit einzuflechten oder Gewalt auf einem Level zu halten, dass es einem nicht wie ein Splatterfilm vorkommt, aber man wächst schließlich an seinen Herausforderungen :) Charaktere zu töten ist nie leicht. Ich hab z.B. im späteren Verlauf ein totales Arschloch geschaffen, selbst von dem konnte ich mich nicht nahtlos trennen *lach* man wächst eben doch mit den Charas zusammen :)
@Stormy Stimmt, Tode sollten nicht inflationär verwendet werden...denn dann ist selbst der beabsichtigte "Schockeffekt", wie du so schön sagst, hinfällig. Manchmal muss man sich von einem Charakter trennen, aber wenn es schwer fällt, ist das schon mal ein gutes Zeichen, denke ich. Gerade in actiongeladenen Genres ist es schwierig, eine gute Balance zwischen notwendigen Toden und den Überlebenden beizubehalten. Charakter-Tod ist eine der anspruchsvollsten Sparten in der fiktionalen Welt, aber leider wird sich da recht häufig ausgetobt.
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